Gephleckt? »Gephleckt - Von der Sonne und dem Wind« ist der erste veröffentlichte Roman von Christian Wassermann. Der Autor nimmt den Leser mit auf eine verträumte, flüsterleise Wanderung durch die afrikanische Savanne, erlaubt einen kurzen Blick, nicht minder tiefen Einblick in das Leben der Bewohner dort. Deren Freuden lässt er uns fühlen, und das ganze Leid, der Zank mit dem verhassten Biest und die Liebe zu dem ander’n Tier.
Verhasstes Biest? Das kann man so sagen, denn die Protagonisten sind durchweg Tiere, die sich mit ihren naturgesetzlichen Eignungen und Erkenntnissen und Begriffen die Welt erklären. Da haben wir also wilde Biester, furibunde Geparde, verschlafene Löwen, wutschnaubende Gnus, lüsterne Zibetkatzen - alles ist dabei.
Da drängt sich die Frage nach der Art der Erzählung auf wie der Löwe seiner gewogenen Löwin. Denkt man an Tiere, denkt man an eine Fabel. Und zugegeben, an einigen Stellen erinnert die Geschichte an eine Lehrdichtung, gibt Anstoß zum Nachdenken, ist in den meisten Teilen jedoch nicht mehr als eine leichte Erzählung mit erwachsenen Tieren und erwachsenen Sorgen darin. Die Handlung streift zwangsläufig viele dem Leben innewohnende Themen, will diese aber niemals zum Gegenstand haben oder gar Lösungen der gesellschaftlichen Probleme aufzeigen, höchstenfalls benennen.
Wer das Wort der Erzählerin, Hatibu heißt sie, wörtlich nimmt und nicht nach Dingen zwischen den Zeilen sucht, findet darin ein Märchen, das ein kleines Stückchen Leben der afrikanischen Savanne erzählt. Wer mit dem nüchternen Menschenaug darauf sieht und alles »ohne Ton« betrachtet, erkennt das wilde Leben in seiner instinktgetriebenen Leidenschaft. Doch mit der Sprache der Tiere wird daraus ein Blick auf die Gesellschaft mit all ihren Sorgen und Nöten, den Freuden und Schmerzen, die das Miteinander mit sich bringt.
Zwischen herbem Klamauk und bitterem Ernst und honigsüßer Liebe auf ca. 870 Seiten ist also alles dabei, mariniert in eine an »Tom Sawyer« erinnernde, teils augenzwinkernd verschnörkelte Schreibart nach Manier des »Steppenwolfs«, ohne sich je an den Meisterwerken messen zu wollen oder dies gar zu vermögen. In einem Wort: Es ist keine Tiergeschichte, aber es ist eine Geschichte mit Tieren. Das waren sogar elf Worte und ein Komma. Jene Leser, die »Unten am Fluss« liebten, könnten auch dieses Werklein mögen.
Zwar ist’s Geschehen nicht so düster wie die besagte Hasengeschichte, hält mit seinem tierischen Porträt des Lebens jedoch manch tragische, manch frohgemute Momente bereit und nicht wenige Begleiterscheinungen des Zusammenlebens innerhalb einer Gesellschaft – vom wortwörtlichen Rassenhass, dem Argwohn wider Fremde und angeborenen Vorurteilen ist da die Rede, von Verrat und Liebe, aber auch von katz’ger Folklore und (Aber)Glaube. Das Leben, eben.
Ihr möchtet mehr über den Inhalt erfahren? Hier entlang!
Eine Leseprobe gefällig? Dann folgt mir.
29,99 € Buch / 9,99 € eBook
Pumuzi vom roten Gabelbaum und Jua vom Dornenhain – zwei Sonnenläufer wider rauflustige Erdmännchen und schiedliche Nashörner, dazwischen belehrende Giraffen und tolle Löwen und mörderische, besser noch mordsdämliche Hyänen. Zwei rasend schnelle Geparde eingeholt von ihrer Vergangenheit. Kann das gut ausgehen?
Die Geschichte, ein Zeugnis vergangener Tage, entführt euch in entlegene Teile Afrikas – unerschlossen, wild, ursprünglich. Dort, fern der gewohnten Ordnung, weitab von Sanftmut und Erbarmen, begleitet ihr zwei Geparde auf dem gemeinsamen Weg durch ihre schöne, raue Welt. Was zunächst nach Einklang klingt, ist bald schon Katzenjammer, denn sind jene auch von gleicher Art, haben beide nicht viel mehr gemein als ihre Ungleichheit. So fände man sie unter keinen erdenklichen Umständen je zusammen vor, und eben das Undenkbare zwingt sie dazu – beide vereint auf zauberhafte Weise. Als sei diese Sache nicht genug Beschwer, entdecken sich den zweien bald neue Fährden, eine dem Tode näher als die andere. Und über allem liegt ein dräuender Schatten, ausgeworfen von einer unheilvollen Allianz, gedungen, die gesamten Graslande zu verdunkeln.
2. Auflage
Ca. 870 Seiten voller Leben
ISBN 978-3-758-31100-0
ISBN 978-3-758-39412-6 (eBook)
Veröffentlicht am 01.12.2023
Ehe ich anhebe, muss eines in Erwägung gezogen werden: Eine Einführung ins Geschehen, die sich in ihrer Kürze ohne gebührliche Charaktervorstellung zurechtfinden muss, kommt vermutlich mit der erzählerischen Gewandtheit eines wandelnden Untoten daher – das Hineinversetzen mag schwerfallen, wenn man kaum etwas über die Motivation der Protagonisten weiß. Aber ich will versuchen, die nötigen Dinge so aneinanderzureihen, dass daraus eine verstehbare Handlung wird. Freilich wäre’s besser, zuvor die unten angehängten Kurzbeschreibungen der Charaktere in näheren Betracht zu ziehen.
Die Geschichte beginnt recht weit an ihrem Ende – im Moment, da sich der Leser der Wahrhaftigkeit des in den Händen gehaltenen Buches vergewissert, wird er Zeuge, wie ein männlicher Gepard Namens »Phleck«, der auch »Pumuzi« heißt, von einem dümmlichen Pack Hyänen zunächst verlacht und dann gemartert wird, damit er den Aufenthalt der Gepardin »Tawny« preisgab. Phleck weiß nichts zum Verbleib besagter Katze – das bringt ihm weitere Züchtigungen ein, an deren Ende er von den Hyänen verschleppt wird.
Die Leopardin »Hatibu«, unsere Sprecherin hoch in einem Akazienbaume, muss gestehen: Sie weiß nicht, wohin Phleck verbracht wird und was mit ihm fürderhin geschehen soll. Aber sie will die Ohren für uns offenhalten und berichten, sobald sich Neues zur Entführung entdeckte. Indessen bietet sie sich als Erzählerin an, auf dass dem Leser innewürde, warum dieser Phleck überhaupt entführt wurde, anstatt noch an Ort und Stelle den Tod zu finden, wie sich’s in der Wildnis gehörte. Und sie will alles über diese Tawny verraten, die Grund genug für’s fieberhafte Vigilieren ist.
Der Auftakt der Verhängnisse reicht acht Tage zurück - in einer Nacht, der Sonne näher als dem Mond, harrt die Gepardin Tawny im Verborgenen aus. Sie beobachtet ein schlafendes Löwenrudel, flankiert von der Hoffnung, die Löwen brächen im Zwielicht zur Jagd auf - das böte ihr Gelegenheit, die zurückgelassenen Jungtiere zu überfallen. Und tatsächlich ziehen die Löwen nach dem Erwachen aus zur Pirsch. Alles fügt sich wunderbar.
Man kann gar nicht schnell genug erfragen, weshalb das gefleckte Raubtier - dem Löwengeschlecht in allen Kräften unterlegen - einen Angriff auf den Leu entwirft, da springt die Gepardin aus dem Dickicht und hält auf die Jungen zu. Es kommt zu einem ausgemachten Tumult mit wilden Rufen, kopflosen Läufen und Staub, so weit das Auge reicht. So kann es nicht fehlen, dass Tawnys Treiben bald entdeckt wird; die Jagdgesellschaft kehrt zurück, um dem wildgewordenen Weib mit einem angemessenen Groll den nötigen Einhalt zu gebieten.
Die Löwinnen umringen die Gepardin, indes hält die Pranke des Mähnenlöwen Kiongozi das verhasste Fleckenvieh am Boden. Triefende Fänge, Knurren, Fauchen – alles wohl geeignet, einen prächtigen Ärger vorzustellen. Das Ende der Katze scheint gekommen, doch plötzlich geschieht etwas Seltsames: Obwohl die Todfeindschaft zwischen Löwe und Gepard den jähen Tod Tawnys vorsieht, beschließt die Rudelführerin, dem gefleckten Biest das Leben zu lassen. Dieses eine Mal noch, und nur unter dem Protest des Rudels, soll die Gepardin fortleben.
Nach der Freilassung flieht Tawny.
Zu dieser Zeit erwacht Gepard Phleck auf seiner Anhöhe – die Einheimischen nennen diesen Ort »Mtazamo mzuri«. Nach dem morgendlichen Erwachensritual und einem seltsamen Gespräch mit einer nicht weniger seltsamen Kreatur – gemeint ist die Zibetkatze Mnuko – macht sich der Kater zu einer nahegelegenen Farm auf, denn er will dem dortigen Hirtenhund die Aufwartung und fernerhin ein Geschenk machen. Es ist für’s weitere Verstehen nicht zu wissen nötig, welchem Zwecke das Geschenk dient oder wie’s zur Freundschaft zwischen Gepard und Hund kam oder wie man das Gespräch der beiden - es nährt zweifellos die Zweifel am gesunden Geist des Geparden – gleich nach dessen Ankunft nehmen muss, wichtig ist allein: Von Hund und Kater unbemerkt, naht sich auch Tawny der Farm.
Ihr Besuch ist nicht zufällig; wann immer die Gepardin von einem Ingrimm befallen oder ohne Orientierung ist, sucht sie den Hüter und dessen Schafe heim; sie nennt den verdammten Hund einen Schuldigen für ihr verdorbenes Leben, nur seinetwegen ist die Gepardin orientierungslos und grimmig, und nur deshalb verdient der Brack nichts anderes, als das alltägliche Leid mit ihr zu teilen. Damit das Leiden des Hundes das volle Maß erreichte, harrt die Katze im Verborgenen aus, bis sich Kater Phleck von seinem Gefährten verabschiedet.
Kaum ist der männliche Gepard fort, dringt das umtriebige Weib in die Einhegung ein und trieb ihr Unwesen: wilde Hufe, kopflose Läufe, Staub, heilloses Durcheinander. Lange geht das nicht gut; vom Getöse aufgerüttelt kommt der aufrechtgehende Affe, zugleich Besitzer der Farm, herbei und vertreibt das gefleckte Untier mit dröhnender Waffengewalt. Tawny entkommt dem Tod durch den »Donnerstock« nur um Fellhaaresbreite – einmal mehr an diesem Tag.
Zu diesem Zeitpunkt ist kaum etwas von Tawny bekannt, aber wollte man in der Furie ein Unheil sehen, könnte man sagen, das Unheil nahm nun seinen Lauf. Jenes Unheil läuft geradewegs auf Phlecks Anhöhe zu - lange würde es also nicht mehr dauern, bis das zornige Vieh ins Leben des Geparden stolperte, um es auf den Kopf zu stellen. Oder wirft Phleck das Leben Tawnys um?
Ja ich weiß, es zeugt von einem niederträchtigen Wesen, just an jener Stelle die Erzählung zu unterbrechen, da sie ihren eigentlichen Anfang nimmt, aber ich möchte euch nicht die Freude nehmen, die kleine große Welt von Tawny und Phleck zu entdecken.
Lernt einige der Protagonisten und Charaktere der Graslande kennen.
Der wahre Name der Gepardin ist Jua vom Dornenhain, Mzaas Tochter, Tochter des Wakila. Jua ist ein recht kleines Exemplar ihresgleichen - oft genug wird sie darum von Mnuko geneckt. Abseits dessen ist sie ein bemerkenswertes Beispiel für Schönheit. Ihr Ebenmaß wird nur von ihren sonnengleichen Augen übertroffen, die geeignet sind, jeden Kater beim bloßen Anblick ins Schwärmen zu versetzen. Außen ist sie bezaubernd schön, im Innern ist sie nur mehr hässlich – launisch, abweisend und bissig und scheinbar ohne Sitte, wiewohl sie den Alten Landen entsprang.
Phlecks gebürtiger Name ist Pumuzi vom roten Gabelbaum, Sohn der Koo, Sohn des Tulu, Behüter der Anhöhe, Treiber des verirrten Schafes und einige mehr. Er ist ungewöhnlich hochgewachsen, aber auch - eingedenk seines mangelnden Jagdgeschicks - furchtbar unterernährt, verziert mit struwwelig stumpfem Fell, einem gebrochenen Fangzahn und bekümmertem Blick. So gesehen ist er das äußerliche Gegenteil Tawnys. Dafür ist er im Innern bemerkenswert schön. Diese innere Schönheit bewahrt den Außenseiter aber nicht von der Hässlichkeit des Lebens.
Er ist ein alter Berner Sennenhund. Niemand weiß, wie er, der so fremdländisch wirkt, ins ferne Afrika passt. Er selbst sagt von sich, er sei seit seiner ersten Erinnerung immer hier dagewesen. Der Hund ist pflichtbewusst, und wie man’s dem treuen Gemüt des Hirtenhundes nachsagt, unterwirft er sich dem Menschen und seiner Aufgabe als Hüter der Mashamba. Und an dieser Aufgabe trägt er schwer, seit Tawny alles dafür tat, sie ihm schwerzumachen.
Viel lässt sich nicht sagen über die Vergangenheit der Zibetkatze. Und vermutlich würde niemand etwas von ihr wissen, wenn nicht Phleck zur rechten Zeit am rechten Fleck gewesen wäre, um sie aus den Klauen einer mafiösen Bande Erdmännchen freizukaufen. Ja es ist nicht zu glauben, diese kleinen Biester wollten der Zibetkatze das Fell über die Ohren ziehen. Dem Retter dankte’s Mnuko, indem sie nicht mehr von seiner Seite wich. Daraus ward eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen einem Geparden und einer von Mnukos niederen Stand.
Das uralte Krokodil - mindestens fünf Katzenleben überdauerte sie nun schon am Ziwa ndogo - pflegt keine Bekanntschaften und hat keine Feinde. Man kann immerhin sagen, sie ist über die Maße nachtragend und starrsinnig. Ebendieser Starrsinn lässt sie einen unbändigen Hass auf Tawny entwickeln. Der Grund dafür muss freilich geheim bleiben.
Hinter dem Ziwa ndogo, gleich neben den Mahali ya simba, erstrecken sich die Fisi ardhi, beherrscht von jener verrufenen Hyäne mit dem schiefen Maul, dem halben Ohr, dem finster‘n Blick und einer Gestalt, die man in ihrem Ausmaß für einen Löwen halten möchte. Die Anführerin des Clans kennt keine Skrupel, ist leicht aufzubringen, ist kaum schlau, aber längst nicht blöde - ein gefährliches Biest.
Viel ist nicht bekannt über jene Hyäne, ein über die Maße intelligentes und geduldiges Tier. Mancher behauptet, sie war einst Führerin des Hyänenstammes in den Verlorenen Landen. Zu der Zeit begab sich, dass sie die Herrschaft mit einem Schlag an die ruchlose Pfote des großen Hyänenschreckens verlor und aus ihrer Heimat verdrängt ward. Durch die Wirrungen des Lebens gelangte Memba als Untergebene in den Stamm der Fisi Ardhi.
Kiongozi, Sohn des Mtwala, Sohn der Asali ist der Hüter des Dornstrauch-Rudels - Mvyele, Sumbuo, Kizuka, Kijana, Usononi und seine drei Jungen. Der junge Mähnenlöwe ist trotz des löwentypischen Temperaments umsichtig zu nennen, ja beinahe unsicher ob seines Alters und versucht lediglich, sein Rudel zusammenzuhalten. Aber begegnet er Tawny, verliert er jede Besonnenheit an den Zorn.
Ihr gebürtiger Name ist Mvyele vom Kratersee, Tochter der Saba, Tochter des Ngana, Hüterin der Gelbgräser und Königin des Dornstrauch-Rudels. Wenn Mvyele gerufen wird, ist die Rede von einer vom Leben gezeichneten und höchstlich respektierten, einstmals wunderschönen, aber auch gestrengen Löwin. Die gebürtige Altländerin erlitt in ihrem langen Leben eine Reihe löwentypischer Prüfungen: zwei Rudelübernahmen, an die Wildheit der Natur verlorene Jungtiere, das Verlassen ihrer umkämpften Heimat. Doch die letzten Sommer als Rudelführerin – sie nennt sie gute Jahre - machten aus ihr eine besonnene und nachsichtige Katze, die trotz der schweren Momente niemals ihre Empfindsamkeit verlor. Des täglichen Überlebenskampfes ungeachtet, ist sie imstande, ihren angeborenen Hass auf andere Rassen abzulegen. Wenn sie es denn will. Einst wäre es ihr möglich, sich den Sonnenläufern anzunähern. Damit machte sie der Großen Mutter die größte Freude.
Jaro sieht man häufig aufrecht sitzend, er erscheint bei näherem Hinblick bräunlich, erscheint auch etwas struppig und fett ist er obendrein – ein Erdmännchen eben. Ein wirklich fettes Erdmännchen ist er, und während man seine ungewöhnliche Erscheinung feststellt, muss man deren Gewöhnlichkeit anerkennen, denn da es dünne Erdmännchen gibt, muss es auch fette geben, damit es die Dünnen überhaupt geben kann. Das leuchtet ein. Wie jenes Vieh zu seiner räuberischen Lebeneinstellung kommt, blieb bisher verborgen.
Wer nicht warten will, bis er das Buch in den Händen hält oder die bloße Neugier nicht gebändigt bekommt, findet hier eine Pfote voll Kapitel, die ein wenig vom Geschehen verraten sollen, ohne allzu viel zu verraten. So lernt ihr immerhin manche der Charaktere kennen und erlebt Tawny und Phleck bei ihrem typischen Treiben.
Kapitel 5
Guten Morgen, Phleck
Tag 1 – Am Morgen, zur selben Zeit, als Tawny die Löwen überfiel
Die Krallen der Sonne schnitten sich, der Sehnsüchte eines jeden Träumers unerachtet, selbst durch das dichteste Gezweige. Sie vergraulten das Grau aus den Wipfeln, jagten‘s Zwielicht von den Gipfeln, scheuchten den Schummer durch die Gräser, stiegen selbst in Höhlen hinab, bis alle Schatten vertrieben waren. Das Licht gewann den Streit wider die Dunkelheit, an dessen Ende der strahlende Held spöttisch in das Antlitz der Verschlafenheit lachte.
Und so früh am Tage war die Verschlafenheit überall zu finden: Man fand sie in den Bäumen, fand sie in Sträuchern, und im Gras fand man sie liegend vor, mal auf dem Rücken auch, mal auf dem Bauch. Eines der verschlafenen Gesichter gehörte einem Geparden – Phleck ward er genannt, und er war ein Gewohnheitstier von durch und durch gefleckter Art. Wie es die Gewohnheit verlangte, lag er träumend und murmelnd auf der Anhöhe nahe den Felsen bereit, von der aufdringlichen Sonne wachgerüttelt zu werden. Aufstehen sollte er, wie jeden Morgen.
Und die Sonne rüttelte nicht flüchtig, nein tüchtig.
Eben noch hellwach im Traum und voller Tatendrang, purzelte der schläfrige Gepard zurück ins müde Leben, erweckt und liegengelassen vor den Scherben seiner Phantasie und ohne Zweideutigkeit, welch verwegenen Lauf sein letzter Traum genommen hätte. Dem verrutschten Blick des Halbwachen war eine große Lust zu entnehmen, ebendies herauszufinden, wiewohl er nichts herausfand, solange er wachte und vorliebnehmen musste mit der unbefriedigenden Einbildungskraft und dem Ärger darüber – beides gelegene Gründe, den Morgen mit einigem Murren zu begrüßen.
Womöglich fragt ihr euch, wovon der Traum des Männchens handelte, und ich muss euch sagen: Ich darf es euch nicht sagen. Vom Autor jenes Buches nämlich ward mir ein »heilsames Stillschweigen« auferlegt, wie er es nannte. Als Grund für so viel Heimlichkeit sei der Anstand zu erwähnen – es ist nicht ziemlich, so sprach der Autor über meinen Groll hinweg, die vom schlummernden Tier dahingemurmelte Phantasie vor jedermann auszubreiten, da im Schlafe keinerlei Macht über das dargelegte Geschehen zu haben möglich. Und das Verderben würde gar gemehrt, so die Traumbilder dem unverderbten Auge jedermanns Kinde offenlägen. Kurzum: In dieser Sache verbot man mir das Plappermaul, und folglich wird mir jedes Wort darüber unmöglich.
Wer von euch Lesern jemals eine Katze zum Gefährten hatte, kann vom Eigensinne sagen, den solche Tiere an sich haben. Da erscheint der Gedanke, eine wie ich ließe sich das Reden von einem wie ihm untersagen, geradezu erfunden, aber es ist wahr, ich vermag das Reden nur, wenn der Verfasser mein Gerede auch hören will. Ohne ihn entkäme meiner Kehle nicht das leiseste Miau. Es ist unerklärlich. Scheint’s, er und ich sind miteinander verbunden – er und ich, wie ein einziger. Also bleibt es dabei: Phlecks Traum bleibt unbehelligt, und mir bleibt das Stillschweigen, wenngleich ein Schweigen oft sehr viel verrät.
Einerlei! Der Gefleckte hatte ganz anderes Sorgen; er legte, die Qualen des Lichtes erleidend, eine Pfote über die Augen und wälzte sich von der einen auf die andere Seite, weg von der Sonne. Sein Murmeln beschwor die Große Mutter, sie möge ihm das zudringliche Licht vom Halse schaffen, und vielleicht fände er auf diese Weise noch etwas vom Schlummer und den Fortgang und einen freudenreichen Ausklang seines Traumes. Aber je mehr er sich nach dem Schlafe sehnte, desto weniger Frieden fand er – die Sonne schien ganz und gar unbeeindruckt von den müden Regungen. Sie trachtete nach jedem einzelnen der vielen Flecken, wollte sie alle kitzeln, und sie begann bei den Pfoten, streifte Rumpf und Brust und strahlte Katers Antlitz warmherzig an. Gegen die Sonne war nichts zu unternehmen, aber brachten die Bemühungen auch nicht viel ein, durfte Phleck ohne Übertreibung von sich sagen, er bot ihr die Stirne.
Er gab das Schlafen auf. Zaghaft sah ein Aug nach dem Stern des Tages, um sich ans viele Licht gewöhnen; dem einen Auge folgte das andere, und beide erwiderten den heißen Blick der Sonne. Im Gegenspiel entlockte sie des Parden goldenen Lichtern das schönste Funkeln.
Jetzt, da Phleck annehmbar wach war, wollte er auf die Beine kommen – leicht gesagt von einem, dessen Geist willig, das Fleisch hingegen schwächlich war. Die schläfrigen Glieder sträubten sich wider den Willen, stellten sich quer; kreuz und quer stapfte der Gepard eher ungelenk denn geschmeidig umher, ein langes Gähnen folgte und als man fand, er bekam das Maul nicht weiter auf, streckte er die Zunge heraus und gewährte freien Blick auf beträchtliche Zähne. Welch ein Angeber. Zwar kann er sich nicht mit Löwenzähnen messen, beachtlich sind die Fänge dennoch, zumindest drei von den vieren. Der Abgebrochene hingegen verlor seinen wilden Schrecken bereits vor Jahren. Bei alldem bleibt’s ungemein schleierhaft, wie Sonnenläufer solch ausgeprägte Hauer in den graziösen Mäulern verbergen.
Aber nun genug gegähnt, Gepard! Auf die Läufe! Zeig dich uns!
Da stand er nun und gähnte, schmatze und stolperte ein paar Schritte ins Licht. Die Sonne ließ die Gelegenheit nicht vorbeigehen, den Kater zärtlich zu streicheln; die beschienenen Flecken verrieten nun jeden Muskel an Phleck, Schatten zeichneten Sehnen unter dem sandfarbenen Felle nach und enthüllten die meisten Knochen an ihm. Zwar sind sichtbare Gebeine kein exotischer Anblick jener gefleckten Katzen, aber dieser Sonnenläufer hier machte einen wahrhaft ausgehungerten Eindruck, und seine schiere Größe entstellte die Gestalt obendrein.
Katers Aug sprang hinauf zur Sonne – sie sollte ihm sagen, weshalb der Tag so früh begann. Wozu das Wecken? Da war die Sonne überfragt. Welche Aufgabe konnte sie ihm auftragen, die er in seiner morgendlichen Zerstreuung zu bewältigen imstande? Nein, sie sprach kein Wort zu ihm, lächelte bloß auf den Geparden herab, und der ließ sich auf den Boden zurückfallen wie jeden Morgen. Über die Jahre ward es beiden zum Ritual: Jeden Morgen ließ sich Phleck aus der heilen Traumwelt zerren, und dafür strafte er die Sonne mit dem bekümmerten Blick; jeden Morgen nahm er die rechte Pfote, leckte ein paar Male über den Rücken der Tatze und führte sie von hinten über seinen Kopf, um sie, wieder bei der Zunge angelangt, noch einmal zu belecken, immer artig mit äußerster Gleichgültigkeit. Es waren diese zwei, drei halbherzig vorgetragenen Versuche, das zerzauste Fell zu bändigen. Immerhin konnte er sagen, er mühte sich.
Du Dieb
Die Fellpflege war gerade im vollen Gange, da rumpelten von Ferne tiefe Rufe über die Ebene wie das Donnergrollen nach einem Himmelslicht. Phlecks Ohren lauschten einem Löwengebrüll aus Richtung der Morgensonne, den Mahali ya simba.
»Diese Brüllaffen«, sprach der Kater zu sich.
Zugegeben, ’s waren verlässliche Brüllaffen, die niemals einen Morgen zum Brüllen ausließen – Löwen halt. Schon mancher fragte sich, warum diese poltrigen Viecher nicht einen einzigen Morgen lang die Schnauze halten konnten. Nicht aber Phleck. Was ihr noch nicht wisst: Gepard Phleck ist einer von der manierlichsten Sorte. Einer wie er hält es für ungeziemend, derlei wüste Worte bloß auszudenken; einer wie er fragte sich höchstenfalls, welch Unbill jene Mondenjäger ausgesetzt, die sich solches Zürnen verlangte, und beide Fragen, wiewohl recht berechtigt, waren für die Katz. Es war Phlecks sechster Sommer auf der Anhöhe, und niemals stieg die Sonne empor ohne den morgendlichen Radau in den Löwenlanden.
Trotz und allem trieb es Kiongozis Rudel an diesem Tage weit über das Gewohnte hinaus: Eine Staubwolke hing über der Ferne, wie man sie hatte, wenn eine wildgewordene Gepardin drei Löwenjungen vor sich hertrieb und einen lautstarken Zank unter den Tieren des Dornstrauch-Rudels entfachte, die wiederum nur einen ungehaltenen Moment davon entfernt waren, eine exquisite Prügelei mit dem Eindringling anzufangen.
»Was mag dort vor sich gehen?«, murmelte der Gepard in die Weite, ohne eine Antwort zu erwarten.
»Die ‘Ö‘en-«, erwiderte eine nuschelnde Stimme also unerwartet.
»Hmm?«
»Die ‘Öwen ‘aben unerwünf‘en Befuch!«
Phleck blickte hinter sich, um der verschwommenen Stimme auf die Schliche zu kommen. Und siehe da, bei den Felsen entdeckte er eine seltsame Gestalt – sie hatte schwarze Flecken am sonst recht grauen Leib, das Fell am Rücken stand hoch auf, die Augen blickten matt und düster aus einem schwarzen Antlitz. Dieselbe Gestalt trug einen Knochen im spitzen Maul. Nimmt man es genauer, war es kein Tragen als ein Zerren, denn das herumgezerrte Gebein war fast so groß wie die Gestalt, die daran zerrte, das insofern kein bemerkenswerter Umstand, als sie, die Gestalt, nicht einmal Phlecks halbe Höhe und nicht die halbe Länge hatte – in einem Wort: Das herumgezerrte Bein war nicht tragbar. Und nun auch ward erklärlich, weshalb die Gestalt nur undeutlich redete – das Vieh nahm das Maul zu voll.
Doch welche Missetat ging hier vonstatten? Phleck dachte nach, und weil er sich nicht denken konnte, was die Gestalt im verbrecherischen Sinne hatte, fragte er einfach nach: »Kann ich dir behilflich sein?«
Die kurzbeinige, schwarzgefleckte, graufellige Gestalt zerrte unbeirrt, schleppte und ächzte fortwährend unter der Anstrengung ihres Beutezuges im Revier eines Raubtiers. Da blieb kein Gedanke übrig für’s Erwidern abgeleierter Fragen.
»Mnuko, ich sprach zu dir!«, sagte Phleck.
»Ach so?«, sagte besagte Mnuko überrascht, ohne überrascht zu sein.
»Erblickst du denn Weitere, die meinen Knochen stehlen?«
»Lass mich kurz nachsehen – tatsächlich, hier sind nur du und ich. In diesem Falle danke ich für die angebotene Hilfe, aber ich komme allein zurecht.«
Das war geklärt. Mnuko hing wieder an dem Knochen, verbiss sich darin, mal vorn, mal hinten, mal inmitten, doch keine Ecke bot den nötigen Halt – unmöglich, solch wuchtiges Gebein nur einen Schritt davonzutragen, während jeder neue Versuch den Knochen schlüpfriger werden ließ, einfach nicht zu fassen. Der Gepard sah dem Knochendieb, der außerdem eine Knochendiebin war, eine ganze Weile auf die Pfoten, ward unterhalten und ungehalten gleicherweise.
»Der ist nicht für dich!«, sagte Phleck nach einer Weile und zwei Schritten.
»Aber warum nicht?«, erwiderte die gestellte Diebin trotzig. »Ich sehe hier niemanden, der einen Knochen gebrauchen kann.«
»Allein das heißt dich eine Diebin sein? Wie schändlich ist es doch, sich eines anderen Gebein unter die Kralle zu reißen und noch an Ort und Stelle in den eigenen Besitzstand zu erheben.«
»Aha. Das darfst also nur du, oder wie?«
»Ich ein gemeiner Dieb?« Phleck legte den Kopf zur Seite. »Ich stahl das Gebein nicht, ich fand es im Grase, unbewacht. Das ist ein gänzlich anderer Tatbestand. Doch wozu erklär ich’s dir, die du an meiner Seite liefst, als ich den Knochen zwischen Gräsern und Kadavern fand?«
»Mag sein. Mag sein«, erwiderte Mnuko. Mittlerweile ward es der Diebin zu viel – sie ließ vom Knochen ab, der ihr mit seiner baren Größe zu schaffen machte. Aber das war längst kein Anlass, den Geparden nicht weiterhin herauszufordern. »Erklärst du mir wenigstens, was ein Kater mit einem monströsen Knochen will?«
»Sag du zuerst, was eine Katze damit anfängt.«, erwiderte Phleck.
»Zibetkatze!«
»O, das ändert viel«, sang Phleck in zermürbter Melodie. »Sei‘s drum, du kannst den Knochen nicht haben. Der ist Mbwa zugedacht.«
»Wie hätte es anders sein sollen – der faule Hund bekommt einen, ich bekomme keinen. Warum kann er sich nicht selbst um seine Knochen kümmern wie jeder normale Hund?« Nun wandte sich die Knochendiebin ab, sie reckte das schwarze Näschen in die Luft, schwarze Augen flohen Katers Blicken – Mnuko gab sich tiefgreifend verärgert.
»Was soll der plötzliche Jammer?«, sagte der Gefleckte.
»Das ist kein Jammer, ich schmolle!«
»Nenne es, wie du möchtest, nur ich sehe nicht, welchen Grund du für das eine oder das andere haben könntest.«
»Doch, das weißt du genau.«
»Ich weiß nur eines mit Gewissheit: Du stiehlst meinen Knochen.«
»Wieso ist es jetzt dein Knochen? Ich dachte, der ist für Mbwa.«
Phleck schüttelte den Kopf und seufzte. »Und nichts anderes sagte ich. Aber verrate mir, warum es der Große sein muss? Genügt denn nicht das Hasenbein, das ich nahe den Felsen ablegte, bewahrt vor beutegierigen Blicken? Ich überlasse es dir, solange du nur Mbwa den großen Knochen lässt. Bedenke doch, wie sich der Hund daran erfreute.«
Mnuko schwieg – sie hatte genug gehört.
Keinen Knochen!
Seltsam. Warum wollte die kleine Zibetkatze das gefleckte Raubtier – und nicht weniger war Phleck mit all den Zähnen und Krallen – auf dessen Grund und Boden wider sich aufbringen? Und augenblicklich gab das Raubtier eine Antwort: Keines verstand sich darauf, so wundervoll verwundert dreinzublicken. Die drollige Verlegenheit des Männchens war der Zibetkatze ausreichend Grund fürs grundlose Aufbringen, und mehr noch, Mnuko wusste das neckende Spiel so weit zu treiben, dass sie alsobald einen Kater vor sich hatte, dem jede Gefälligkeit abzuringen war, überdies an einem Tag, der jede Erpressung nötig machte. Aber dazu später mehr.
Das knochenstehlende Weib saß bloß da, blickte mal nach links, mal nach rechts, stets bemüht, den Kater zu übersehen. Des Parden Verwirrung hielt es mit der Beharrlichkeit von Mnukos Schweigen, und nun gesellte sich zur Ratlosigkeit die Ungewissheit, wie in solch verfahrener Lage zu verfahren sei. Freilich war Phleck vertraut mit dem wechselhaften Wesen der Zibetkatze – mitunter genügte ein falsches Wort oder missverstandene Geste und jede Heiterkeit an Mnukos sonnigem Gemüt wandelte sich zum Donnerwetter; ebenso rasch änderten sich Weibes Launen ins Frohgemute, sobald Phleck den sanften Blick auf sie warf. Doch an diesem Tage verhielt es sich anders, denn Mnuko verhielt sich anders; etwas quälte sie so fürchterlich, dass kein Lächeln die aufgebrachte Zibetkatze je befriedet hätte.
»Für den Hund«, seufzte die Zibetkatz zum Beweis ihrer fürchterlichen Gequältheit. »Für wen auch sonst?«, seufzte sie weiter, bis die Stille kam, in der ein weiteres, ein langes Seufzen eine besondere Wirkung entfaltete.
Katers Hilflosigkeit erreichte gerade das höchste Ausmaß, da zeigte sich die meiste Wirkung von Mnukos Worten an ihr selbst. Jene Zibetkatze, die eben Katers Brass entband und ihn dafür mit Verachtung strafte, legte den bemühten Gleichmut ab, ja sogar das Necken lag ihr fern, Behutsamkeit lag näher, und ihr Blick nahte sich dem Kater mit der Geradlinigkeit einer Schlange, besprang ihn hinterrücks, dem Löwenmanne gleich, der just das Weib beging. Die schwarzen Augen sahen unglücklich drein beim Blick ins verzagte Antlitz ihres Gefährten.
Ach, warum verstand der Kater nicht? Dieses feinsinnige, dieses diaphane Tier – so beschrieb Mnuko den Kater, wann immer sie ihn zum Gegenstand einer Unterhaltung machte –, jenes umsichtige Tier, das aller Rauheit und Barbarei der Gegend widersprach; dieses verständige Tier, das jedem mit Achtung begegnete und selbst eine Zibetkatze in seiner Nähe ertrug; dieses seltsam unbeholfene Tier, das sonst jede Gefühlsregung las wie Geheiße aus Weibes hitzigem Schoß, erhörte nicht zugleich den inbrünstigen Ruf im Ungesagten. Ach, warum verstand er nicht?
Zugegeben: Das Männchen mühte sich redlich, nur war ihm Mnukos Wesen kaum zu deuten. Wann immer Phleck glaubte, er durchschaute den Tanz aus Neckerei und Missachtung, gab ihm der schwarzäugige Blick des Weibes ein neues Rätsel auf, das weiteres Denken mit leerem Umherblicken verlangte. Der Gepard führte fort, was Kiongozi im Morgengrauen begann – erinnert ihr euch an den Mähnenlöwen nach dem Löwenerwachen, der nicht ahnen wollte, was seine Löwin begehrte? Ihr seht, die einheimischen Kerle verstehen sehr vieles meist sehr spät und oft nur dann, wenn es ihnen unverhohlen ins Antlitz gebrüllt oder unter die Nase gerieben wird.
Zum Brüllen musste es nicht kommen; ein plötzlicher Gedanke durchfuhr Phleck. »In Wahrheit hängt dein Herz gar nicht an dem Knochen«, sagte der, als machte er eine bedeutsame Entdeckung. Und der Ton ließ glauben, er selbst ward überrascht davon. »Sag, erriet ich es?«
»Wie bist du bloß darauf gekommen?«, sagte Mnuko mit verdrehten Augen.
»Nun, ich dachte mir, weil du doch nie zuvor einen Knochen-«
»Bei Milele, der Ewigen, was soll ich mit einem Knochen anfangen, Mann?«
»Sag es ehrlich, fragte ich nicht eben erst das Gleiche? Dann wandtest du dich grämlich von hinnen und bist aufgebrachter als vorher. Wie vermöchte ich, den Sinn der Zibetkatze je zu deuten, der sich so wandelbar gebart wie der Mond?« Phleck seufzt. »Sei es drum, der Knochen soll nicht zwischen uns stehen, will ihn dir lassen. Mit einigem Geschicke kann ich dem guten Mbwa das Hasengebein angewöhnen. Er ist gutmütig, er wird‘s hinnehmen.«
Da unterbrach Mnuko die lange Rede für den kurzen Sinn: »Kater! Ich will keine Knochen von dir!«
»Keine Knochen?«
»Nein, verflucht! Ach, Pum, wieso verstehst du es nicht? Ist es zu viel verlangt, dich mit derselben Hingabe auch um mich zu bemühen? Bei dem Hund gelingt es dir ganz leicht; ihm trägst du sogar die Knochen nach. Ein Kater, der dem Hund nachläuft – hat man davon schon einmal gehört?«
Ein langes Schweigen folgte und als das verklungen, kam ein zweites, weil’s erste nicht ausreichte. Was meinte Mnuko wohl mit dem Bemühen, und an welche Bemühungen dachte sie dabei? Warum stahl sie einen Knochen, den sie gar nicht mochte? Und wenn es nicht der Knochen war, was sonst begehrte eine Zibetkatze von einem, der nichts anderes von Werte an sich hatte, ja nicht einmal ein Mann von Stattlichkeit war? Drum konnte’s nur sein Schlafplatz, dachte Phleck, als er am Ende der Grübeleien anlangte, und obwohl ihm sein Nachtlager viel bedeutete, dass er es für nichts im Leben hergab, überließ er’s doch dem Weib, unterstellt, sie wollte’s haben.
Mnuko schüttelte bloß den Kopf, von Freudentaumel keine Spur. Sie hatte endgültig genug von Phleck, wiewohl sie gar nichts von ihm bekam. Solchermaßen bedient lief sie die Anhöhe hinab. Was brächte weiter‘s Reden mit einem, der nichts von unausgesprochenen Worten verstand? Dabei verstand der Gepard eines sehr wohl: Es war nicht der Schlafplatz, nach dem sich Mnuko verzehrte.
Als ich sagte, Phleck hatte nichts von Wert an sich, mochte das in jenem Augenblicke seine Geltung gehabt haben, doch nun war er immerhin im Besitz wilder Entschlossenheit. Und so folgte eine Aufzählung von möglichen Bemühungen, die ein Gepardenkater liebend gerne auf sich nahm, so sie geeignet waren, eine Zibetkatze zu begütigen – wiederum vergebens. Bei allem, was einer Zibetkatze recht ist, wollte kein gebotener Liebesdienst genügen – nicht die ganzheitliche Fellpflege, nicht die reizvolle Nackenmassage in Katers dreieinhalb Fängen und nicht die Behandlung der Zibetpfoten. War das zu glauben?
Und da blickte Phleck auf. Nachdem er alles angab, das Mnuko Seligkeit verheißen sollte, gab es eine letzte Sache, die er noch nicht versprach. Nun wusste er ganz sicherlich, was seine Zibetkatze von einem Kater erträumte; unerklärlich bloß, weshalb es nicht der erste Gedanke war. Allerdings brachte ihm die späte Eingebung keine Beruhigung, nur mehr Kümmernis, sodass er den Gedanken kaum aussprechen konnte. »Du meinst-«, sagte der Gepard und ließ eine gedankenvolle Pause. »Ach, Mnuko, ich ahne nun, was du ersehnst. Allein wie deute ich dir meinen Sinn, ohne dass er zu deiner Kränkung dient? Ob es mir leichter über die Lippen kommt, wenn du mir dein holdes Antlitz zeigst? Ach, schenke mir das warme Angesicht und nicht die kalte Schulter bloß.«
Das verdiente sich die Aufmerksamkeit. Mnuko sah nach ihrem Gefährten, sah besänftigende Augen und einen ebenso sanften Kater gleich dahinter – sie wollte hören, was er zu sagen hatte.
»Verzeih mir’s Missdeuten«, fuhr Phleck leise fort.
Mnukos kleines Maul öffnete sich in höchlichster Erwartung. Entdeckte er’s nach all der Zeit zu guter Letzt? Ach, so lang dürstete sie nach den Worten – wollte er sie heute aussprechen?
»Ich verstehe es nun ganz«, sagte Phleck weiter. »Doch kann ich dir nicht geben, wonach du verlangst.«
»Ich- ach, ich weiß«, erwiderte die Katze traurig ins Gras hinein. »Ich weiß es längst, Pumuzi. Tief drinnen, da habe ich es schon lange gefühlt, aber weil du es niemals ausgesprochen hast, gab mir die Ungewissheit immer neue Zuversicht.«
»Liebste Mnuko, glaube mir, ein niemand bedauert es mehr als ich. Ach, wäre es weniger mühevoll, wollte ich es schon tun. Jederzeit wollte ich es für dich auf mich nehmen, aber das mit dir – es raubt mir jede Kraft.«
»Bitte-«, schluchzte die Katze. »Bitte sag nichts mehr!«
»Aber sollst verstehen«, erklärte der Kater, der seine Erklärung besser für sich behielt.
Mnuko blickte in diese riesigen, unberührten Augen, und als sie den Anblick nimmer ertrug, wandte sie sich um und ging daran, die Anhöhe zu verlassen. Nanu! Phleck legte den Kopf von schief nach schräg, in Gedanken fragend, wohin sie ging und weshalb sie so jählings hinweghob. Verlangte Mnuko bis eben nicht Antwort auf ihre ungesagten Worte? Und war heute nicht der Tag, an dem sie sich zum Spielen auf der Mtazamo mzuri versammelten? Und warum, bei der Großen Mutter, warf jedes Gespräch mit dieser Weiblichen mehr Fragen auf, als es beantwortete? Das war merkwürdig und verlangte sich Aufschluss.
Der Gepard eilte der Zibetkatze nach, eilte vorbei und verstellte den Weg. »Wohin möchtest du denn so eilig? Wollten wir nicht nach der Mittagssonne spielen?«, sagte er.
»Weißt du, Kater, man bekommt nicht jeden Tag zu hören, wie mühevoll und kräftezehrend man ist, erst recht nicht von seinem besten Freund. In solch einem Fall ist es besser, wenn ich verschwinde. Vielleicht sollten wir heute einmal nicht spielen.«
Jetzt war die Enttäuschung auch bei Phleck zu finden. Wann immer das geschah, hingen seine Ohren herab, sein Kopf lag tief zwischen den Schultern und der Schwanz schleifte nach ihm her, als sei dieser eine leblose Schlange, die ihren letzten Biss in das Ende eines Geparden tat, dahinschied und seitdem hinterhergezogen ward. »Du versagst mir deine Gesellschaft, und alles nur, weil ich dich heute nicht auf mir reiten lasse?«
Mnuko schaute entsetzt auf. »Bitte was?«
»Jetzt sieh nicht so entgeistert drein! Für dich ist‘s stets ein großer Spaß, für mich bloß Quälerei. Tierquälerei. Verdiente ich mir hierfür Zurückweisung, dann- dann wäre’s tatsächlich besser, du schertest dich den Rest des Tages fort.«
»Wovon sprichst du, Mann?«, grollte Mnuko. Sprach’s, und nun dämmerte ihr, was Phleck im Sinn hatte. Nur Linderung brachte die Erkenntnis nicht. Im Gegenteil, es brachte die Zibetkatze richtig auf: »Reiten, ja? Ich denke, du haust jetzt ab, und zwar sofort!«
»Aber das hier ist mein Heim«, sagte Phleck, dem ansonsten die Worte fehlten.
»Was bist du doch für ein Blödling.«
»Wieso muss ich solche Prügel auf mich nehmen? Ich bot dir den großen Knochen und ich gab meinen Schlafplatz drein für dich und ließe dich gar auf mir reiten, so es nur nicht heute wäre. Sag, was soll die Empörung, Weib? Tat ich denn etwas Falsches?«
Kaum sprach Mnuko das harsche Wort, kam’s Bedauern über sie. Nein, sie brauchte das traurige Antlitz eines Geparden nicht, sie brauchte keine herabhängenden Ohren, keinen verblühten Schopf und nicht den leblosen Schwanz dazu, der wie eine bissige Schlange war. Grübelte die Zibetkatze nur lange genug über die letzten Momente, fand sie ein Stück des Blödlings auch an sich selbst. Nach all der Zeit musste sie ihren Weggefährten besser kennen. »Entschuldige, mein Freund.«, sagte sie schließlich.
»Wenn ich etwas Falsches sprach, verzeih es mir zuerst, und bitte lass vom Fortgehen. Wir wollen reden, wollen hoffentlich verstehen, was uns einander missverstehen ließ.«
»Du musst nichts verzeihen, Pum. Ich war es, die all die scharfen Worte ins Maul genommen und unzerkaut ausgespien hat wie eine schleimige Schnecke nach dem ersten Happen. Es ist kein weiteres Wort nötig, solange du einer dämlichen Zibetkatze die Blödheit vergibst.« Mnuko zwang den Lippen ein Lächeln auf. »Falls du für den Tag noch eine Gefährtin zum Spielen suchst, will ich sie liebend gerne sein.«
Phleck gab sein schönstes Lächeln her. »Dann lasse mich den Knochen zur Mashamba bringen. Will mich eilen und mit der höchsten Sonne zurücksein mit den Kernen. Dann wollen wir spielen.«
Mnuko nickte. Nun breitete sich das Schmunzeln im ganzen Antlitz aus – ein wenig schmunzelte sie über sich, etwas vom Schmunzeln galt dem Kater, alles Übrige war die Erleichterung darüber, dass niemand sonst Teil der Unterhaltung war, die schließlich nichts anderes war als die alltägliche Art einer Unterredung mit dem Gefleckten, den sie seit Jahr und Tag Gefährte nannte.
Sag doch was!
Christian Wassermann
Alexander von Humboldt Straße 38
03222 Lübbenau
Lust auf weitere Tiergeschichten? Einfach mal heraus aus der sengenden Hitze der Savanne und hinein in den kühlen Wald oder hinaus in die saukalte Winternacht? Dann ist die kleine Reihe »tierischer« Geschichten genau das Richtige.
»Verdammt! - Von Igeln und Bibern« ist der erste Band - wohl eher ein Bändchen - der »Tierisch«-Reihe von Christian Wassermann. Zum Start der Reihe nimmt der Autor den Leser mit auf einen Streifzug durch den heimischen Wald. Eine Tragödie.
»Verliebt! - Die Streuner vom Scheunentor« ist der zweite Band - wohl eher ein Bändchen - der »Tierisch«-Reihe von Christian Wassermann. In der Fortsetzung der Reihe nimmt der Autor den Leser mit auf einen Streifzug durch die Vorstadt. Ein Drama.