Gephleckt? »Gephleckt - Von der Sonne und dem Wind« ist der erste veröffentlichte Roman von Christian Wassermann. Der Autor nimmt den Leser mit auf eine verträumte, flüsterleise Wanderung durch die afrikanische Savanne, erlaubt einen kurzen Blick, nicht minder tiefen Einblick in das Leben der Bewohner dort. Deren Freuden lässt er uns fühlen, und das ganze Leid, der Zank mit dem verhassten Biest und die Liebe zu dem ander’n Tier.
Verhasstes Biest? Das kann man so sagen, denn die Protagonisten sind durchweg Tiere, die sich mit ihren naturgesetzlichen Eignungen und Erkenntnissen und Begriffen die Welt erklären. Da haben wir also wilde Biester, furibunde Geparde, verschlafene Löwen, wutschnaubende Gnus, lüsterne Zibetkatzen - alles ist dabei.
Da drängt sich die Frage nach der Art der Erzählung auf wie der Löwe seiner gewogenen Löwin. Denkt man an Tiere, denkt man an eine Fabel. Und zugegeben, an einigen Stellen erinnert die Geschichte an eine Lehrdichtung, gibt Anstoß zum Nachdenken, ist in den meisten Teilen jedoch nicht mehr als eine leichte Erzählung mit erwachsenen Tieren und erwachsenen Sorgen darin. Die Handlung streift zwangsläufig viele dem Leben innewohnende Themen, will diese aber niemals zum Gegenstand haben oder gar Lösungen der gesellschaftlichen Probleme aufzeigen, höchstenfalls benennen.
Wer das Wort der Erzählerin, Hatibu heißt sie, wörtlich nimmt und nicht nach Dingen zwischen den Zeilen sucht, findet darin ein Märchen, das ein kleines Stückchen Leben der afrikanischen Savanne erzählt. Wer mit dem nüchternen Menschenaug darauf sieht und alles »ohne Ton« betrachtet, erkennt das wilde Leben in seiner instinktgetriebenen Leidenschaft. Doch mit der Sprache der Tiere wird daraus ein Blick auf die Gesellschaft mit all ihren Sorgen und Nöten, den Freuden und Schmerzen, die das Miteinander mit sich bringt.
Zwischen herbem Klamauk und bitterem Ernst und honigsüßer Liebe auf ca. 870 Seiten ist also alles dabei, mariniert in eine an »Tom Sawyer« erinnernde, teils augenzwinkernd verschnörkelte Schreibart nach Manier des »Steppenwolfs«, ohne sich je an den Meisterwerken messen zu wollen oder dies gar zu vermögen. In einem Wort: Es ist keine Tiergeschichte, aber es ist eine Geschichte mit Tieren. Das waren sogar elf Worte und ein Komma. Jene Leser, die »Unten am Fluss« liebten, könnten auch dieses Werklein mögen.
Zwar ist’s Geschehen nicht so düster wie die besagte Hasengeschichte, hält mit seinem tierischen Porträt des Lebens jedoch manch tragische, manch frohgemute Momente bereit und nicht wenige Begleiterscheinungen des Zusammenlebens innerhalb einer Gesellschaft – vom wortwörtlichen Rassenhass, dem Argwohn wider Fremde und angeborenen Vorurteilen ist da die Rede, von Verrat und Liebe, aber auch von katz’ger Folklore und (Aber)Glaube. Das Leben, eben.
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Eine Leseprobe gefällig? Dann folgt mir.
29,99 € Buch / 9,99 € eBook
Pumuzi vom roten Gabelbaum und Jua vom Dornenhain – zwei Sonnenläufer wider rauflustige Erdmännchen und schiedliche Nashörner, dazwischen belehrende Giraffen und tolle Löwen und mörderische, besser noch mordsdämliche Hyänen. Zwei rasend schnelle Geparde eingeholt von ihrer Vergangenheit. Kann das gut ausgehen?
Die Geschichte, ein Zeugnis vergangener Tage, entführt euch in entlegene Teile Afrikas – unerschlossen, wild, ursprünglich. Dort, fern der gewohnten Ordnung, weitab von Sanftmut und Erbarmen, begleitet ihr zwei Geparde auf dem gemeinsamen Weg durch ihre schöne, raue Welt. Was zunächst nach Einklang klingt, ist bald schon Katzenjammer, denn sind jene auch von gleicher Art, haben beide nicht viel mehr gemein als ihre Ungleichheit. So fände man sie unter keinen erdenklichen Umständen je zusammen vor, und eben das Undenkbare zwingt sie dazu – beide vereint auf zauberhafte Weise. Als sei diese Sache nicht genug Beschwer, entdecken sich den zweien bald neue Fährden, eine dem Tode näher als die andere. Und über allem liegt ein dräuender Schatten, ausgeworfen von einer unheilvollen Allianz, gedungen, die gesamten Graslande zu verdunkeln.
2. Auflage
Ca. 870 Seiten voller Leben
ISBN 978-3-758-31100-0
ISBN 978-3-758-39412-6 (eBook)
Veröffentlicht am 01.12.2023
Ehe ich anhebe, muss eines in Erwägung gezogen werden: Eine Einführung ins Geschehen, die sich in ihrer Kürze ohne gebührliche Charaktervorstellung zurechtfinden muss, kommt vermutlich mit der erzählerischen Gewandtheit eines wandelnden Untoten daher – das Hineinversetzen mag schwerfallen, wenn man kaum etwas über die Motivation der Protagonisten weiß. Aber ich will versuchen, die nötigen Dinge so aneinanderzureihen, dass daraus eine verstehbare Handlung wird. Freilich wäre’s besser, zuvor die unten angehängten Kurzbeschreibungen der Charaktere in näheren Betracht zu ziehen.
Die Geschichte beginnt recht weit an ihrem Ende – im Moment, da sich der Leser der Wahrhaftigkeit des in den Händen gehaltenen Buches vergewissert, wird er Zeuge, wie ein männlicher Gepard Namens »Phleck«, der auch »Pumuzi« heißt, von einem dümmlichen Pack Hyänen zunächst verlacht und dann gemartert wird, damit er den Aufenthalt der Gepardin »Tawny« preisgab. Phleck weiß nichts zum Verbleib besagter Katze – das bringt ihm weitere Züchtigungen ein, an deren Ende er von den Hyänen verschleppt wird.
Die Leopardin »Hatibu«, unsere Sprecherin hoch in einem Akazienbaume, muss gestehen: Sie weiß nicht, wohin Phleck verbracht wird und was mit ihm fürderhin geschehen soll. Aber sie will die Ohren für uns offenhalten und berichten, sobald sich Neues zur Entführung entdeckte. Indessen bietet sie sich als Erzählerin an, auf dass dem Leser innewürde, warum dieser Phleck überhaupt entführt wurde, anstatt noch an Ort und Stelle den Tod zu finden, wie sich’s in der Wildnis gehörte. Und sie will alles über diese Tawny verraten, die Grund genug für’s fieberhafte Vigilieren ist.
Der Auftakt der Verhängnisse reicht acht Tage zurück - in einer Nacht, der Sonne näher als dem Mond, harrt die Gepardin Tawny im Verborgenen aus. Sie beobachtet ein schlafendes Löwenrudel, flankiert von der Hoffnung, die Löwen brächen im Zwielicht zur Jagd auf - das böte ihr Gelegenheit, die zurückgelassenen Jungtiere zu überfallen. Und tatsächlich ziehen die Löwen nach dem Erwachen aus zur Pirsch. Alles fügt sich wunderbar.
Man kann gar nicht schnell genug erfragen, weshalb das gefleckte Raubtier - dem Löwengeschlecht in allen Kräften unterlegen - einen Angriff auf den Leu entwirft, da springt die Gepardin aus dem Dickicht und hält auf die Jungen zu. Es kommt zu einem ausgemachten Tumult mit wilden Rufen, kopflosen Läufen und Staub, so weit das Auge reicht. So kann es nicht fehlen, dass Tawnys Treiben bald entdeckt wird; die Jagdgesellschaft kehrt zurück, um dem wildgewordenen Weib mit einem angemessenen Groll den nötigen Einhalt zu gebieten.
Die Löwinnen umringen die Gepardin, indes hält die Pranke des Mähnenlöwen Kiongozi das verhasste Fleckenvieh am Boden. Triefende Fänge, Knurren, Fauchen – alles wohl geeignet, einen prächtigen Ärger vorzustellen. Das Ende der Katze scheint gekommen, doch plötzlich geschieht etwas Seltsames: Obwohl die Todfeindschaft zwischen Löwe und Gepard den jähen Tod Tawnys vorsieht, beschließt die Rudelführerin, dem gefleckten Biest das Leben zu lassen. Dieses eine Mal noch, und nur unter dem Protest des Rudels, soll die Gepardin fortleben.
Nach der Freilassung flieht Tawny.
Zu dieser Zeit erwacht Gepard Phleck auf seiner Anhöhe – die Einheimischen nennen diesen Ort »Mtazamo mzuri«. Nach dem morgendlichen Erwachensritual und einem seltsamen Gespräch mit einer nicht weniger seltsamen Kreatur – gemeint ist die Zibetkatze Mnuko – macht sich der Kater zu einer nahegelegenen Farm auf, denn er will dem dortigen Hirtenhund die Aufwartung und fernerhin ein Geschenk machen. Es ist für’s weitere Verstehen nicht zu wissen nötig, welchem Zwecke das Geschenk dient oder wie’s zur Freundschaft zwischen Gepard und Hund kam oder wie man das Gespräch der beiden - es nährt zweifellos die Zweifel am gesunden Geist des Geparden – gleich nach dessen Ankunft nehmen muss, wichtig ist allein: Von Hund und Kater unbemerkt, naht sich auch Tawny der Farm.
Ihr Besuch ist nicht zufällig; wann immer die Gepardin von einem Ingrimm befallen oder ohne Orientierung ist, sucht sie den Hüter und dessen Schafe heim; sie nennt den verdammten Hund einen Schuldigen für ihr verdorbenes Leben, nur seinetwegen ist die Gepardin orientierungslos und grimmig, und nur deshalb verdient der Brack nichts anderes, als das alltägliche Leid mit ihr zu teilen. Damit das Leiden des Hundes das volle Maß erreichte, harrt die Katze im Verborgenen aus, bis sich Kater Phleck von seinem Gefährten verabschiedet.
Kaum ist der männliche Gepard fort, dringt das umtriebige Weib in die Einhegung ein und trieb ihr Unwesen: wilde Hufe, kopflose Läufe, Staub, heilloses Durcheinander. Lange geht das nicht gut; vom Getöse aufgerüttelt kommt der aufrechtgehende Affe, zugleich Besitzer der Farm, herbei und vertreibt das gefleckte Untier mit dröhnender Waffengewalt. Tawny entkommt dem Tod durch den »Donnerstock« nur um Fellhaaresbreite – einmal mehr an diesem Tag.
Zu diesem Zeitpunkt ist kaum etwas von Tawny bekannt, aber wollte man in der Furie ein Unheil sehen, könnte man sagen, das Unheil nahm nun seinen Lauf. Jenes Unheil läuft geradewegs auf Phlecks Anhöhe zu - lange würde es also nicht mehr dauern, bis das zornige Vieh ins Leben des Geparden stolperte, um es auf den Kopf zu stellen. Oder wirft Phleck das Leben Tawnys um?
Ja ich weiß, es zeugt von einem niederträchtigen Wesen, just an jener Stelle die Erzählung zu unterbrechen, da sie ihren eigentlichen Anfang nimmt, aber ich möchte euch nicht die Freude nehmen, die kleine große Welt von Tawny und Phleck zu entdecken.
Lernt einige der Protagonisten und Charaktere der Graslande kennen.
Der wahre Name der Gepardin ist Jua vom Dornenhain, Mzaas Tochter, Tochter des Wakila. Jua ist ein recht kleines Exemplar ihresgleichen - oft genug wird sie darum von Mnuko geneckt. Abseits dessen ist sie ein bemerkenswertes Beispiel für Schönheit. Ihr Ebenmaß wird nur von ihren sonnengleichen Augen übertroffen, die geeignet sind, jeden Kater beim bloßen Anblick ins Schwärmen zu versetzen. Außen ist sie bezaubernd schön, im Innern ist sie nur mehr hässlich – launisch, abweisend und bissig und scheinbar ohne Sitte, wiewohl sie den Alten Landen entsprang.
Phlecks gebürtiger Name ist Pumuzi vom roten Gabelbaum, Sohn der Koo, Sohn des Tulu, Behüter der Anhöhe, Treiber des verirrten Schafes und einige mehr. Er ist ungewöhnlich hochgewachsen, aber auch - eingedenk seines mangelnden Jagdgeschicks - furchtbar unterernährt, verziert mit struwwelig stumpfem Fell, einem gebrochenen Fangzahn und bekümmertem Blick. So gesehen ist er das äußerliche Gegenteil Tawnys. Dafür ist er im Innern bemerkenswert schön. Diese innere Schönheit bewahrt den Außenseiter aber nicht von der Hässlichkeit des Lebens.
Er ist ein alter Berner Sennenhund. Niemand weiß, wie er, der so fremdländisch wirkt, ins ferne Afrika passt. Er selbst sagt von sich, er sei seit seiner ersten Erinnerung immer hier dagewesen. Der Hund ist pflichtbewusst, und wie man’s dem treuen Gemüt des Hirtenhundes nachsagt, unterwirft er sich dem Menschen und seiner Aufgabe als Hüter der Mashamba. Und an dieser Aufgabe trägt er schwer, seit Tawny alles dafür tat, sie ihm schwerzumachen.
Viel lässt sich nicht sagen über die Vergangenheit der Zibetkatze. Und vermutlich würde niemand etwas von ihr wissen, wenn nicht Phleck zur rechten Zeit am rechten Fleck gewesen wäre, um sie aus den Klauen einer mafiösen Bande Erdmännchen freizukaufen. Ja es ist nicht zu glauben, diese kleinen Biester wollten der Zibetkatze das Fell über die Ohren ziehen. Dem Retter dankte’s Mnuko, indem sie nicht mehr von seiner Seite wich. Daraus ward eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen einem Geparden und einer von Mnukos niederen Stand.
Das uralte Krokodil - mindestens fünf Katzenleben überdauerte sie nun schon am Ziwa ndogo - pflegt keine Bekanntschaften und hat keine Feinde. Man kann immerhin sagen, sie ist über die Maße nachtragend und starrsinnig. Ebendieser Starrsinn lässt sie einen unbändigen Hass auf Tawny entwickeln. Der Grund dafür muss freilich geheim bleiben.
Hinter dem Ziwa ndogo, gleich neben den Mahali ya simba, erstrecken sich die Fisi ardhi, beherrscht von jener verrufenen Hyäne mit dem schiefen Maul, dem halben Ohr, dem finster‘n Blick und einer Gestalt, die man in ihrem Ausmaß für einen Löwen halten möchte. Die Anführerin des Clans kennt keine Skrupel, ist leicht aufzubringen, ist kaum schlau, aber längst nicht blöde - ein gefährliches Biest.
Viel ist nicht bekannt über jene Hyäne, ein über die Maße intelligentes und geduldiges Tier. Mancher behauptet, sie war einst Führerin des Hyänenstammes in den Verlorenen Landen. Zu der Zeit begab sich, dass sie die Herrschaft mit einem Schlag an die ruchlose Pfote des großen Hyänenschreckens verlor und aus ihrer Heimat verdrängt ward. Durch die Wirrungen des Lebens gelangte Memba als Untergebene in den Stamm der Fisi Ardhi.
Kiongozi, Sohn des Mtwala, Sohn der Asali ist der Hüter des Dornstrauch-Rudels - Mvyele, Sumbuo, Kizuka, Kijana, Usononi und seine drei Jungen. Der junge Mähnenlöwe ist trotz des löwentypischen Temperaments umsichtig zu nennen, ja beinahe unsicher ob seines Alters und versucht lediglich, sein Rudel zusammenzuhalten. Aber begegnet er Tawny, verliert er jede Besonnenheit an den Zorn.
Ihr gebürtiger Name ist Mvyele vom Kratersee, Tochter der Saba, Tochter des Ngana, Hüterin der Gelbgräser und Königin des Dornstrauch-Rudels. Wenn Mvyele gerufen wird, ist die Rede von einer vom Leben gezeichneten und höchstlich respektierten, einstmals wunderschönen, aber auch gestrengen Löwin. Die gebürtige Altländerin erlitt in ihrem langen Leben eine Reihe löwentypischer Prüfungen: zwei Rudelübernahmen, an die Wildheit der Natur verlorene Jungtiere, das Verlassen ihrer umkämpften Heimat. Doch die letzten Sommer als Rudelführerin – sie nennt sie gute Jahre - machten aus ihr eine besonnene und nachsichtige Katze, die trotz der schweren Momente niemals ihre Empfindsamkeit verlor. Des täglichen Überlebenskampfes ungeachtet, ist sie imstande, ihren angeborenen Hass auf andere Rassen abzulegen. Wenn sie es denn will. Einst wäre es ihr möglich, sich den Sonnenläufern anzunähern. Damit machte sie der Großen Mutter die größte Freude.
Jaro sieht man häufig aufrecht sitzend, er erscheint bei näherem Hinblick bräunlich, erscheint auch etwas struppig und fett ist er obendrein – ein Erdmännchen eben. Ein wirklich fettes Erdmännchen ist er, und während man seine ungewöhnliche Erscheinung feststellt, muss man deren Gewöhnlichkeit anerkennen, denn da es dünne Erdmännchen gibt, muss es auch fette geben, damit es die Dünnen überhaupt geben kann. Das leuchtet ein. Wie jenes Vieh zu seiner räuberischen Lebeneinstellung kommt, blieb bisher verborgen.
Wer nicht warten will, bis er das Buch in den Händen hält oder die bloße Neugier nicht gebändigt bekommt, findet hier eine Pfote voll Kapitel, die ein wenig vom Geschehen verraten sollen, ohne allzu viel zu verraten. So lernt ihr immerhin manche der Charaktere kennen und erlebt Tawny und Phleck bei ihrem typischen Treiben.
Kapitel 2
Die Erzählerin
Tag 8 – Später am Morgen
Nanu, ihr seid noch hier. Warum folgt ihr den vier Hyänen nicht? Stattdessen seht ihr verdächtig und schelmisch nach mir. Sagt, werter Leser, möchtet ihr denn nicht erfahren, was aus Phleck in der Gewalt der Wilden werden soll? Rasch geht den fünfen nach, solang die unverblasste Fährte eine Verfolgung leichtmacht! Werdet sehen, was mit Phleck geschehen soll, und womöglich erfahrt ihr auch, wer diese Tawny ist, von der Kungwi zornig sprach. Eilt euch!
Oder möchtet ihr viel lieber etwas anderes aus den Graslanden hören? Nun, dann lasst es mich für einen Moment durchdenken – ihr müsst wissen, unser Land erzählt sich sagenhaft viele Geschichten; gewiss ist da eine darunter, die eure Neugier erweckt. Da hätten wir Mysterien zuhauf – sagt, würdet ihr gern eingeweiht in das Geheimnis der gelben Phantomschlange? Nach dieser Erzählung findet mancher seinen Geisterglauben wieder. Oder wie ist’s mit Abenteuern? Wollt ihr vom wilden Nilkrokodilrennen hören? O, jedes Jungtier liebt diese Geschichte. Oder seid ihr solche, die dem besseren Weltverständnis nachjagen in alten Sagen und Mären? In diesem Falle müsst ihr die Legende der Großen Mutter hören, und wie sie das Katzengeschlecht gebar. Scheut euch nicht, sagt mir, was ihr erfahren möchtet!
Gar nichts? Nichts davon ist wissenswert?
Um es mit meinen Worten zu sagen: Die Schreie der Gewalt sind kaum verhallt, die niederträchtige Verschleppung des Geparden Phleck ist in vollem Gange, und euch ist sie keines Blickes wert, viel weniger der Rede. Und sind es nicht die Geschichten der Graslande und nicht unsere alten Legenden, weder die Hyänen dort noch der gequälte Kater, was fesselt eure Aufmerksamkeit an mich?
Heißt mich stur, und ich will‘s nicht leugnen, jedoch sind die Entführer von hier aus kaum auszumachen, man kann das Unterfangen gar unmöglich nennen, solange ihr mich statt ihrer im Auge behaltet. Ach, was rede ich von meiner Sturheit, da ihr dem Eigensinn, so scheint‘s, nicht ferner seid. Bis eben glaubte ich, ihr Leser wärt von ausgemachter Art, wärt voller Entdeckerfreude, und nun finde ich euch sprachlos vor wie all die anderen euresgleichen.
Stille Beobachter
Wen ich mit euresgleichen meine? Jeden Morgen zieht es euch her. Ihr galoppiert meist zu Mehreren auf keuchenden Mähren – die Rede ist von den seltsamen Tieren mit kreisrundem Huf und kalter Haut, ganz ohne Fell und ohne den Ruch des Lebens. Sobald euer Blick dem Baume galt, befiehlt ihr euren Tieren Halt, und gleich darauf ergibt sich Spähers Aug der Katzengestalt, hoch im Geäst. Gebannten Blickes harrt ihr dann, bleibt wie Fische stumm und mancher nicht minder schuppig. So verweilt ihr hockend auf den Kleppern, macht große Augen, bringt ganze Tage auf diese Weise zu. Ihr späht mich aus beim Schlafe, beim Fressen, manchmal ertappt ihr mich auf frischer Tat mit den Katern, und dann seht ihr mich wieder schlafen, berückt, beglückt, als saht ihr nie zuvor einen bewohnten Baum.
Gern will ich meine Verwirrung erklären. Ich spreche vom einzigen Baum in den Graslanden, der diesen Namen verdient und sich schon von Ferne als bewohnt vorstellt. Die Markierungen von Kralle und Geruch sagen es überdeutlich: »Das ist Hatibus Baum«. Meine Akazie! – so ist es auf hundert Schritt nachzulesen, und ist es der Wunsch des Windes, sind es hundert mehr. Bedachte man die Sache weiterhin, fände man bloß zwei Gründe, die den Weg in die Gazellengründe erforderlich machten: Der eine ist die Hoffnung auf spärlichen Schatten unter meinem Baum, der andere ist das Verlangen nach meiner Gesellschaft, wenngleich das eine selten ohne die andere zu haben ist. Also, was erwartete der Blick in Baumes Krone denn als meinesgleichen?
Gewiss, abseits des lüsternen Zuspruchs von gleicher Arten Katern sind nur wenige empfänglich für den rauen Charme des Raubtiers, und vermutlich fiele das Zeugnis des ersten Blicks entzückter aus, träfe er auf die in Niedlichkeit gehüllte Statur eines Erdmännchens. Aber dort oben, in Baumes Wipfel, liege nur ich. Ein anderes Tier vermag das Klettern nicht, mag deshalb auch das Klettern nicht, und die Leblosen von uns lägen nicht auf hohem Gezweige, sie lägen eher ungeordnet um den Stamm herum, also recht weit unten bei den anderen. Sagt selbst, ist die Erkenntnis einer springlebendigen Katze, die dort im Baume herniederblickt, gar zu überwältigend, um es mit Höflichkeit zu halten?
Statt des Grußes nicht ein Wort, und an Tages Ende wird man sagen, ich mache einen gereizten Eindruck. Denn was sollte eine Leopardin anderes sein als gereizt, nicht wahr? Ach, ich könnte es mir selbst ganz leichtmachen, indem ich euren Argwohn in gleicher Melodie erwiderte. Es dürfte euch nicht einmal verwundern, eingedenk der furchteinflößend scheppernden, der klappernden und dröhnenden, den stotternden und nimmermüden, zu Nachten grelläugigen Rösser, die ihr neuerdings in ganzen Herden auf den knirschenden Pfaden entlangscheucht. Denen zum Trotze heiße ich jeden willkommen, der nahe meinem Baume haltmacht.
Ach, ich liebe es, jedem Reisenden von der Gegend zu erzählen, über das Leben und seine Leute hier. Und eines müsst ihr mir glauben: Ich bin die beste Fremdenführerin zwischen den sonneerweckenden Bergen und dem Akazienhain, der sie am Ende des Tages in den Schlummer wiegt. Anders als das Bodengetier habe ich von droben eine überragende Sicht auf die Geschehnisse, die sich mir gefällig zu Pfoten werfen. So entgeht nichts meinem wachen Aug, selbst wenn es schlafend scheint, und alles Geschehen in der Ferne trägt der Wind ans Ohr. So wüsste ich von jedem Bewohner Dinge zu erzählen, die er bis eben für vertraulich hielt.
Nichts tät‘ ich lieber.
Und nicht anderes werde ich tun, so ihr mir keine Widerworte gebt!
Allein es bleibt die Frage, wie ich der sprachlos vorgetragenen Erwartung gerecht werde, ohne den kleinsten Hinweis, was eurem Ohr das Liebste wäre. Gern wollte ich euch von Phlecks Entführung erzählen, doch Gepard und Hyänen sind nicht auszumachen. Wie wäre’s also, wenn ich euch stattdessen erzählte, wie es zu ebendieser Entführung kam? Im selben Atem würde euch entdeckt, wer jene Tawny ist, die mancher auch Jua heißt und weshalb Fisi nach ihr trachtet.
Gut, dann wollen wir es so haben: Ihr schweigt manierlich vor euch hin; ich nehme alles Reden auf mich. Und wird mir im Verlaufe etwas zum Verbleib des armen Katers Phleck und seinen Entführern offenbar, will ich davon berichten.
Sag doch was!
Christian Wassermann
Alexander von Humboldt Straße 38
03222 Lübbenau
Lust auf weitere Tiergeschichten? Einfach mal heraus aus der sengenden Hitze der Savanne und hinein in den kühlen Wald oder hinaus in die saukalte Winternacht? Dann ist die kleine Reihe »tierischer« Geschichten genau das Richtige.
»Verdammt! - Von Igeln und Bibern« ist der erste Band - wohl eher ein Bändchen - der »Tierisch«-Reihe von Christian Wassermann. Zum Start der Reihe nimmt der Autor den Leser mit auf einen Streifzug durch den heimischen Wald. Eine Tragödie.
»Verliebt! - Die Streuner vom Scheunentor« ist der zweite Band - wohl eher ein Bändchen - der »Tierisch«-Reihe von Christian Wassermann. In der Fortsetzung der Reihe nimmt der Autor den Leser mit auf einen Streifzug durch die Vorstadt. Ein Drama.